... und plötzlich war da diese Leere. Die kennen wahrscheinlich alle, die gerne Podcasts hören. Diese Leere, wenn die Folge eines Lieblingspodcasts zu Ende ist. Wenn es wieder eine Woche dauert, bis die nächste Folge kommt. Aber irgendwie gibt es ja auch immer Hoffnung, wir wissen: da kommt wieder was. Klar, erst in einer Woche, aber das kriegen wir schon irgendwie hin.
Anders sieht es bei Podcasts aus, die ein „natürliches“ Ende haben; ich rede von Storytelling-Podcasts. Also Podcasts, die eine zusammenhängende Geschichte erzählen – und dafür eine bestimmte Anzahl von Folgen zur Verfügung haben. Idealerweise die Anzahl von Folgen, die Raum genug gibt, um die Aspekte der Geschichte in einem angemessenen Rahmen zu erzählen. Aber nicht nur das, der Rahmen muss auch groß genug sein, um das auch unterhaltsam machen zu können; überraschend, mitreißend. Meinetwegen können wir das auch spannend nennen.
Ich liebe Storytelling-Podcasts. Sie sind der Grund, warum ich selbst zum Podcast-machen gekommen bin. Und ich bin süchtig danach. Wenn es irgendeinen neuen Storytelling-Podcast (zumindest englischsprachig) gibt und ich davon etwas mitbekomme, könnt Ihr wetten, dass ich reinhöre. Nicht alle erfüllen die Erwartungen, die ich auf so einen Podcast projiziere. Dafür gibt es aber auch immer wieder Überraschungen, die mich umhauen. Und dann bin ich so begeistert, dass ich allen davon erzählen MUSS. Wer mir bei Instagram folgt, kann das bestätigen (sorry dafür!). Ich bin dann so begeistert, dass ich den Macher:innen am liebsten Liebesbrief-artige DMs schreiben würde, in denen ich ihnen mitteilen möchte, wie sehr ich ihre Arbeit bewundere (okay, manchmal mache ich das sogar, haha).
Muss ich eigentlich erklären, was ein Storytelling-Podcast ist? Vermutlich nicht, aber damit wir alle on the same page sind, versuche ich das doch mal eben schnell subjektiv zu definieren. Für mich ist ein Storytelling-Podcast eine Serie zum Hören. Aber kein fiktionaler Stoff. Dieser Podcast erzählt eine Geschichte aus dem Leben. Aus unserem Leben. Manche nennen das auch Doku-Podcast. Journalistisch ist das vermutlich am ehesten mit einer Reportage vergleichbar – oder eben einem Dokumentarfilm. Falsch, es ist kein Film. Es ist ja eine Serie. Und ein solcher Storytelling-Podcast hat letzten Endes genau den Effekt, den auch unsere Lieblingsserien haben.
Wie genau diese Geschichten konkret aussehen, um die es geht, ist dabei völlig offen. Letztes Jahr hat (nicht nur) mich beispielsweise ein Podcast begeistert, in der ein gestandener Journalist das Haus seiner Kindheit besucht, weil er glaubt, dass es darin gespukt hat (Ghost Story). Aber auch ein Podcast, der von einer ganzen Generation US-Schulkinder erzählt, denen eine absolut haarsträubende Lesetechnik beigebracht wurde (Sold a Story). Oder ein Podcast über Frauen in einer Fruchtbarkeitsklinik, die bei der Entnahme ihrer Eiszellen unfassbare Schmerzen aushalten mussten, weil sie nicht die vorgesehene Fentanylbetäubung bekommen hatten – und das ihnen niemand geglaubt hat (The Retrievals).
So unterschiedlich diese Geschichten auch sind, sie haben eins gemeinsam: Sie sind unglaublich gut erzählt. So spannend, so mitreißend, so unterhaltsam oder schockierend, dass ich immer weiterhören will. Und sie eröffnen Horizonte zu diesen spezifischen Themen, um die es jeweils geht – und geben tiefe Einblicke in das Innere derjenigen, die davon erzählen. Ich rede hier vermutlich von Empathie.
Wenn diese Geschichten dann nach einigen Wochen – vielleicht durchschnittlich sechs bis acht – enden, wenn die Musik zum letzten Mal läuft, während die Credits zum letzten Mal genannt werden und es dann plötzlich still wird im Podcatcher, ist sie da: die Leere. Das war’s. Da kommt nichts mehr. Nicht in einer Woche, nicht in zwei. Fin.
Aber es ist dann natürlich noch lange nicht zu Ende. Ein guter Podcast bewirkt das, was immer passieren muss, wenn wir eine anregende Story sehen, hören oder lesen: Es fängt an, in uns zu arbeiten. Wir lassen noch einmal in die Geschichte in ihrer Gesamtheit innerlich ablaufen; ihren Aufbau, ihre Entwicklung, ihre verschiedenen Stimmen. Wir wachsen über die erzählte Geschichte hinaus und verlängern sie in unser Leben.
Was in mir zuletzt diese Leere verursacht hat und mich seitdem beschäftigt? Es ist wieder einmal ein Podcast aus der Serial-Reihe. Wenn da ein neuer angekündigt wird, bin ich eigentlich immer aufgeregt und kann es gar nicht erwarten bis die erste Folge erscheint. Was genau Serial ist und was es – sicher nicht nur mir – bedeutet, das muss wirklich einmal an anderer Stelle besprochen werden. So wichtig ist das für diesen Newsletter jetzt auch gar nicht.
Es geht hier konkret um den ganz aktuellen Serial-Podcast. Er heißt The Good Whale. Und als ich den Trailer zum ersten Mal gehört habe, da war ich ... sagen wir, mindestens ... irritiert. Denn in The Good Whale erzählt der Autor und Host Daniel Alarcón die Geschichte von Keiko. Das ist der Wal, den zumindest alle ab 40 und unter 60 kennen dürften, es ist nämlich der Orca aus dem Kinofilm Free Willy (1993). Um in diesem ersten Newsletter nicht noch weiter abzuschweifen, möchte ich zum Willy-Phänomen jetzt nicht noch mehr schreiben. Wird ausreichend im Podcast erklärt.
Ich war nicht unbedingt irritiert, weil es im neuesten Serial-Podcast um die Geschichte eines Orcas geht. Ich hab ja schon geschrieben, dass ich an dieser Art von Podcast genau das schätze: in Welten ... nun ja ... abzutauchen, von denen ich bislang noch nichts wusste oder denen ich zuvor kaum Beachtung geschenkt habe. Was mich aber schon – vor allem nachdem ich den Trailer gehört hatte, und sogar nach der ersten Folge – irritiert hat, ist die Frage, wie diese Story in sechs Folgen erzählt werden soll. Oder eher, wie diese Geschichte sechs Folgen füllen soll. Podcastfolgen kosten Geld. Gerade, wenn es um professionelle Podcasts geht, sind sehr viele Menschen über einen langen Zeitraum damit beschäftigt. Und das ist der simple Grund, warum das Budget für so einen Podcast von Folge zu Folge steigt. Ich will sagen: Es kommt eher selten vor, dass eine Geschichte auf zu viele Folgen gestreckt wird. Nee, stimmt eigentlich nicht, es kommt schon öfter mal vor. Dann, wenn jemand das Gefühl hat, ein Thema gefunden haben, über das unbedingt einmal ausführlich erzählt werden müsste. Aber ein Thema ist eben noch keine Story und dann hat man zwar auf einmal vier, fünf oder sogar sechs Folgen festgelegt, aber eigentlich gar nicht so viel zu erzählen. Vorsichtiger ausgedrückt also: Es ist eher selten, dass professionelle Podcasts aus UK oder den USA zu viele Folgen ansetzen (in UK fällt mir gerade doch einer ein: Dangerous Minds von Tortoise, ist aber auch wieder ein anderes Thema).
Ich schweife schon wieder ab. Aber das hat einen Grund. Als ich den Trailer und die erste Episode von The Good Whale gehört hatte, habe ich mich gefragt, was in den fünf weiteren Folgen erzählt werden soll. Nach meinem Gefühl – ohne die genauen Hintergründe der Geschichte zu kennen – würde man da üblicherweise maximal vier Folgen ansetzen? Dadurch bin ich aber noch neugieriger geworden. Und nach der zweiten Folge habe ich dann auch das gemacht, was die Serial-Macher:innen im Podcast immer wieder empfohlen haben: Ich habe mich mit meinen New York Times-Onlineabo, das ich glücklicherweise besitze, eingeloggt und mir dadurch alle sechs Folgen von The Good Whale freigeschaltet.
Deswegen bin ich denen, die den Podcast aktuell von Woche zu Woche hören schon voraus. Auf der anderen Seite bin ich deswegen auch ein bisschen traurig. Denn ich habe die sechs Folgen einfach innerhalb von zwei Tagen weggesuchtet. Und vielleicht liegt es auch daran, aber ich habe das Gefühl, ich hätte diese Leere, von der ich gesprochen habe, selten so stark gefühlt. Dieser Podcast war eine absolute emotionale Achterbahnfahrt, die Geschichte ist so schön erzählt, dass ich wirklich regelmäßig schlucken musste und es manchmal auch nicht mehr ging. Dann hab ich wahrscheinlich versucht, das Wasser in den Augen mit der flachen Hand vorm Gesicht wegzuwedeln, wie ich das in so vielen Castingshows bei den Kandidat:innen gesehen habe.
Warum hat der Podcast diese Wirkung? Weil er die Geschichte so intensiv aus der Perspektive der Menschen erzählt, die sie erleben. So intensiv, dass es wirklich weh – oder auch gut – tut! Was diesen Podcast im Detail so gelungen macht, müsste mal in einem andern Rahmen analysiert werden, das geht mir an dieser Stelle auch zu weit. Aber eine Sache noch, und die hängt unmittelbar mit der Frage nach der Anzahl der Folgen zusammen. An einer Stelle macht dieser Podcast etwas, mit dem niemand rechnen kann. Der Erzähler trifft eine Entscheidung, über die man inhaltlich sicherlich diskutieren kann. Aber dass dem Podcast dafür Raum gegeben wird und die Macher:innen sich dazu entscheiden konnten, diesen Raum auf ganz besondere Art zu nutzen, das alleine ist schon bemerkenswert!
Aktuell läuft die wöchentliche Veröffentlichung noch. Wenn dieser Moment kommt, von dem ich hier schreibe, werdet Ihr ihn erkennen. Und ich bin auf Eure Reaktionen gespannt. Und auch darauf, ob Ihr nach der letzten Folge etwas Ähnliches spürt wie ich. Diese Leere. Den Wunsch, wieder in die Welt von Keiko zurückzukehren. Und die Erkenntnis, dass diese Welt jetzt erst einmal lange einen Platz in meinem Kopf haben wird.
Bis zum nächsten Mal.
Jens
Hallo Jens, danke für den schönen Artikel! Bin auch super verrückt nach guten Podcasts und hab The Good Whale auch geliebt :) ich bin neu auf Substack und dein Newsletter ist einer der ersten, die ich hier lese. Bin gespannt was noch kommt! (Falls du dich fragst, wie ich hierher gefunden hab: Beifahrersitz von Denise Fernholz) LG Sophia