Newsletter No.5
Jedes Jahr gibt es die ein oder zwei Podcasts, auf deren Relevanz sich eigentlich alle einigen können – zumindest diejenigen, die beruflich mit Podcasts und Medien zu tun haben, (also ihr). Podcasts, die auch mal in den traditionellen Medien Erwähnung finden und Gespräche unter Kolleg:innen mit „Hast du eigentlich schon gehört?“ beginnen oder „Den musst du unbedingt hören!“ enden lassen. Podcasts, die einen Nerv treffen. Letztes Jahr waren das zum Beispiel Shocking, Heartbreaking, Transformative von Jess Shane und Hysterical von Dan Taberski.
Ich wage jetzt die Prognose: Alternate Realities von Zach Mack wird bald auch dazugehören. Immer häufiger tauchen Hinweise und Empfehlungen dazu auf: ein Newsletter hier, ein Tipp von der Kollegin da, bald vielleicht ein Artikel auf Übermedien oder eine Besprechung im Dlf-Kultur-Podcastmagazin Über Podcast. Vielleicht auch ein Halbseiter in der taz …
Es handelt sich um eine kleine, dreiteilige Podcast-Staffel, die im Feed von Embedded erscheint – übrigens: Dieser Doku-Podcast-Kanal ist sehr zu empfehlen und sollte unbedingt abonniert werden.
Was macht Alternate Realities also zu so einem Podcast?
Der Journalist Mack erzählt darin von seinem Vater, der in die Abgründe der Verschwörungserzählungen und Querdenker:innen abgetaucht ist und den belastenden Auswirkungen, die das auf die gesamte Familie hat.
Die Geschichte beginnt mit einer Wette. Der Vater bietet seinem Sohn Zach an, zehn Ereignisse zu notieren, die im Jahr 2024 eintreten werden. Sollte er damit nicht recht behalten, will er Zach 10.000 Dollar zahlen. Sollte er recht behalten, muss Zach ihm das Geld überweisen und – das Wichtigste – eine erwarte dann eine aufrichtige Entschuldigung („Papa, du hattest recht, ich hatte unrecht“).
Nun ist es aber natürlich nicht so, dass Verschwörungsmythen, Fake News, Deepfakes und deren unkontrollierte Verbreitung via Social Media ein neues Phänomen wären, das zum ersten Mal thematisiert würde. Im Gegenteil, seit fünf, vielleicht auch schon zehn, Jahren beschäftigen wir uns immer und immer wieder mit diesem Thema. Aber – und das ist vermutlich ein Grund, warum das Phänomen gerade wieder sehr im Fokus steht – seit Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt wurde und die Partei, die das „Alternativ“ schon in ihrem Namen trägt hierzulande bei den Bundestagswahlen über 20 Prozent der Wähler:innenstimmen erhält, lohnt es sich eventuell ja doch, (Lanz-Voice:) „nochmal reinzugucken“ ins Thema.
Der Podcast macht einige bemerkenswerte Dinge.
Zum einen zeigt er die Entwicklung von Mack selbst. Wie er anfangs noch recht hochmütig und herablassend über diese neue „alternative Realität“ seines Vaters spricht. Wie er siegessicher ist, dass er am Ende als triumphierender Gewinner dastehen wird, weil diese Liste mit den – vollkommen haarsträubenden – Voraussagen seines Vaters ja schwarz auf weiß vorliegt. Aber je mehr er miterleben muss, wie die anderen Familienmitglieder leiden, desto verzweifelter wird er. Aber auch: desto mehr begibt er sich auf Augenhöhe zu seinem Vater.
Denn das Bewundernswerte an Zachs Vater ist, dass er keinem Wahn verfallen ist. Er ist auch kein keifender Wutbürger, der alle niederbrüllt. Im Gegenteil, er bringt seine Argumente nüchtern vor, bringt Verständnis für die „Gegenseite“ auf und kann sehr schlüssig darlegen, warum er nicht anders kann als so zu handeln, wie er es tut.
Das tut weh – nicht nur Zach und seiner Familie. Auch wir Zuhörer:innen werden immer mehr in diesen emotionalen und herzzerreißenden Konflikt hineingezogen (Shocking, Heartbreaking, Transformative!) und das schmerzt. Vor allem, wenn es der Podcast nach und nach schafft, die Zwiebelhäute abzuziehen und zumindest eine Ahnung davon zu geben, warum sich Menschen wie Zachs Vater in diese hochgefährlichen Alternativ-Realitäten hineinziehen lassen. Nicht entschuldigend, nicht beschönigend, aber mit Erklärungsansätzen, die uns möglicherweise weiterbringen könnten, wenn es darum geht, mit dem Thema – besser: mit den Menschen, die es betrifft – umzugehen.
Man könnte sehr lange und tiefgreifende Textanalysen zu Alternate Realities verfassen. Das werden sicher auch noch einige tun. Das ist auch gut so. An dieser Stelle ist es aber noch nicht so weit. Zuerst einmal geht es ums Zuhören. Ums Verarbeiten. Und um den Austausch.
Schreibt mir gerne.
Bis zum nächsten Mal.
Jens